öffentliche Schulden: Grundlagen

öffentliche Schulden: Grundlagen
öffentliche Schulden: Grundlagen
 
Die Aufnahme von Krediten zur Deckung öffentlicher Ausgaben kann ökonomisch sinnvoll sein. In einer vorübergehenden Rezession kann das durch Steuerausfälle entstehende Defizit einen hilfreichen konjunkturpolitischen Beitrag zur Glättung des Konjunkturzyklus leisten (automatischer Stabilisator). Im Rahmen der antizyklischen Fiskalpolitik wird vorgeschlagen, durch über Kreditaufnahme finanzierte Ausgabenprogramme die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stärken (Defizitfinanzierung, Deficit-Spending). Auch unter allokativen Gesichtspunkten können temporäre Defizite angeraten sein: So führt es zu unnötigen intertemporalen Verzerrungen, wenn die Steuersätze konjunkturabhängig schwanken.
 
 Anstieg der Staatsverschuldung
 
In vielen Industrieländern sind seit Beginn der 70er-Jahre die öffentlichen Schulden stark angestiegen. In Deutschland hat sich die Schuldenquote, dasVerhältnis zwischen staatlichem Schuldenstand und BIP, mehr als verdreifacht und stieg von (1970) 18 % auf (1999) über 60 %. Dieser starke Schuldenanstieg ist mit den eingangs genannten Rechtfertigungen kaum zu erklären. Die vorgebrachten Argumente können vorübergehende, nicht aber dauerhafte Defizite legitimieren, die zu einem ständigen Anstieg der Schuldenquote führen. Hinzu kommt, dass inzwischen in manchen Ländern eine Verschuldungssituation eingetreten ist, die Zweifel an der zukünftigen Zahlungsfähigkeit dieser Staaten rechtfertigt.
 
 Negative Folgen hoher Schuldenstände
 
Die negativen Folgen hoher Staatsverschuldung sind vielfältig. Die massive Inanspruchnahme der Ersparnis durch die Kreditnachfrage des Staates kann zu einem Anstieg der Zinsen führen. Der Zinsanstieg wiederum verringert die private Investitionstätigkeit. Dieser als Crowding-out bezeichnete Vorgang der Verdrängung privater Nachfrage verschlechtert die längerfristigen Wachstumsaussichten. Hohe Schuldenstände können außerdem die Preisstabilität gefährden, wenn sie der Zentralbank die Durchführung einer stabilitätsorientierten Geldpolitik erschweren. Vor allem aber ist mit einer hohen Staatsverschuldung ein intergeneratives Verteilungsproblem verbunden (Lastenverschiebungsthese). Es sind zukünftige Generationen, die durch heutige Defizite belastet werden. Steigende Staatsschulden führen dazu, dass ein wachsender Anteil der öffentlichen Haushalte durch Zinsverpflichtungen gebunden wird. In dieser Höhe stehen Steuereinnahmen nicht mehr zur Finanzierung von öffentlichen Gütern oder sozialen Leistungen zur Verfügung. Die Zinsausgabenquote, der Anteil der Zinsausgaben an den öffentlichen Ausgaben, erhöhte sich beim Bund von (1970) 2,8 % auf (1998) 12,4 %.
 
 Politökonomische Erklärungen
 
Wie kann man den Schuldenanstieg erklären angesichts der Tatsache, dass die überwiegend negativen Folgen nahezu unbestritten sind? Nach Erklärungsansätzen der Public-Choice-Theorie erlauben Defizite dem Politiker, die für ihn wichtigen Interessengruppen durch Ausgabenprogramme zufrieden zu stellen, ohne gleichzeitig andere Wähler durch höhere Steuern zu verprellen. Die Finanzierungslast wird in die Zukunft verschoben. Vor diesem Hintergrund sind Defizite dann politisch populär, wenn Politiker und Wähler eine kurzfristige Perspektive haben. Die Perspektive eines Politikers reicht gewöhnlich nur bis zur nächsten Wahl. Von der Wiederwahl ist sein persönliches Wohlergehen und seine politische Einflussmöglichkeit abhängig. Warum sollte aber ein Wähler einen so kurzfristig denkenden Politiker wählen? Auch ein Wähler kann zur Kurzsichtigkeit neigen, wenn er z. B. kurz vor dem Ruhestand steht. In dieser Lage wird er eine Defizitfinanzierung begrüßen. Die Verschiebung der Last in die Zukunft trifft ihn nicht mehr, weil er bald eine weitgehend steuerfreie Rente bezieht.
 
 Das Dilemma verfassungsrechtlicher Schuldengrenzen
 
Das Grundgesetz beschränkt in Art. 115 die jährliche Neuverschuldung auf die Höhe der öffentlichen Investitionen (goldene Regel). Diese Schuldengrenze hat den starken Schuldenanstieg in Deutschland nicht verhindern können. Grund ist v. a. der Ausnahmetatbestand des gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts. Liegt ein solches vor, darf die Neuverschuldung die Investitionen überschreiten. Angesichts andauernd hoher Arbeitslosigkeit ist diese Schuldengrenze allerdings weitgehend wirkungslos. Im Vorfeld der Euro-Einführung haben die beiden Fiskalkriterien unter den Konvergenzkriterien, das Defizit- und das Schuldenstandskriterium, in den EU-Staaten eine Verringerung der Neuverschuldung bewirkt. Es stellt sich aber die Frage, ob der Trend zur Defizitsenkung anhält. Eine wirkungsvollere Schuldenbegrenzung steht vor einem grundlegenden Dilemma: Für Politiker ist die Ausgabenfinanzierung über Kreditaufnahme ein attraktives Instrument. Sie werden daher kaum mit verfassungsändernder Mehrheit schärferen Defizitgrenzen zustimmen, auch wenn diese ökonomisch und moralisch dringend angeraten erscheinen.

Universal-Lexikon. 2012.

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